Wer die aktuellen Beziehungen des Westens zu China betrachtet, sieht sich angesichts der ideologischen Vorbereitung eines Wirtschaftskrieges gegen das Land unwillkürlich an das Jahr 2014 und die Krim-Krise erinnert. Vor sechs Jahren begannen hier die USA mit der EU im Schlepptau anlässlich der Auseinandersetzung in der Ukraine die Verhängung einseitiger und völkerrechtswidriger Sanktionen gegen die Russische Föderation. Den Anfang machten Sanktionen gegen Einzelpersonen, die dann recht bald in Wirtschafts- und Finanzsanktionen mündeten. Erklärtes Ziel der Strafmaßnahmen war und ist es, Russland zur Änderung seiner Außenpolitik zu zwingen und den Beitritt der Krim zum russischen Staat rückgängig zu machen. Im Falle Chinas sehen wir heute eine ähnliche Herangehensweise der USA, die Druck machen, damit sich wie bei Russland die EU sowie die mittels Militärpakten verbundenen Pazifikstaaten Japan, Australien und Neuseeland auch daran beteiligen. Robert C. O‘Brien, nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, formulierte die neue Frontstellung in Verbindung mit dem angekündigten Teilabzug von US-Truppen aus Deutschland überdeutlich: »Um China und Russland, zwei Großmachtkonkurrenten, entgegenzutreten, müssen die US-Streitkräfte stärker als in den vergangenen Jahren vorwärts und expeditionsartig ins Ausland entsandt werden. Das ist der Hauptgrund, warum die USA ihre permanent in Deutschland stationierten Streitkräfte von 34.500 auf 25.000 Mann reduzieren werden.«
Neuer Fokus des US-Militarismus
China, noch vor Russland genannt, ist für die US-Administration jetzt der Gegner Nummer 1 in der Welt. Gegen die Volksrepublik werden alle Mittel eingesetzt – von der militärischen Drohkulisse über wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen bis zum Versuch der diplomatischen Isolierung.
So darf man es ohne Zweifel als erste Schritte des beginnenden Wirtschaftskrieges bezeichnen, wenn die USA jetzt Sanktionen gegen Einzelpersonen aus China wegen der Situation der Uiguren im Westen der Volksrepublik oder der Umsetzung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong erlassen. In der Öffentlichkeit der europäischen Länder wird enormer Druck aufgebaut, auch auf diese Politik der Konfrontation einzuschwenken. Deutschland gilt dabei als Schlüsselland, da die Volksrepublik seit vier Jahren mit einem Volumen von über 200 Milliarden Euro noch vor den USA der größte Handelspartner ist. Eine Zerstörung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, so das offensichtliche Kalkül aus Washington, würde erheblich zu einer Schwächung der Machtposition Beijings beitragen.
Wenig diskutiert, gibt es wie im Fall von Russland durch die stetige NATO-Erweiterung auch bei China eine fundamentale strategische Herausforderung der USA. Dazu werden die regionalen Verbündeten der USA voll eingebunden und wie Deutschland im Fall der NATO zu einer eigenen Hochrüstungspolitik angehalten. So sind laut der Stiftung »Stockholm International Peace Research Institute« 2019 Japan mit 47,6 Milliarden Dollar, Südkorea mit 43,9 Milliarden Dollar und Australien mit 25,9 Milliarden Dollar fest etabliert unter den ersten 15 im Ranking der Militärausgaben. Indien, das zum Erzfeind Chinas aufgebaut wird, hat mit 71,1 Milliarden Dollar auf Platz 3 bereits Russland überholt.
Während die NATO die US-Plattform für die Politik der Herausforderung Russlands ist, sind es im pazifischen Raum aus historischen Gründen die Militärpakte der einzelnen Länder mit den Vereinigten Staaten, die aus den Zeiten des Kalten Krieges herrühren und die jetzt gegen die Volksrepublik China scharf gestellt werden. 2015 hatten sich die USA bereits auf neue Regeln einer intensiven militärischen Zusammenarbeit geeinigt und etwa den militärischen Beistandspakt mit Japan konkretisiert, was gegenseitige Hilfe bei Angriffen auf US-amerikanische oder japanische Schiffe angeht. Auch Taiwan rüstet 2020 mit über elf Milliarden Dollar weiter kräftig auf und intensiviert die militärische Zusammenarbeit mit den USA. Dabei werden drei strategische Ziele der USA gegenüber China sichtbar: Zum ersten geht es darum, China selbst im südchinesischen Meer und in seiner unmittelbaren Umgebung herauszufordern, zum zweiten darum, Chinas Zugang zum Indischen Ozean zu blockieren sowie drittens ist es die Absicht, perspektivisch die Verbindung nach Westasien und Europa zu kappen. Wie bei Russland muss man vom Versuch einer Einkreisungsstrategie sprechen, die ihren Niederschlag auch in einer Aufwertung von US-Militärbasen rund um die Volksrepublik findet. Allein die Truppenstärke der USA im asiatisch-pazifischen Raum liegt nach chinesischen Angaben mit 375.000 Soldatinnen und Soldaten sehr hoch. Zentral ist allerdings, dass 60 Prozent der gesamten US-Kriegsflotte in diesem Raum operieren. Die Zahl der US-Marineeinsätze ist während der Amtszeit von Donald Trump von vier auf 22 angestiegen. Mitte Juni 2020 fand das seit 2017 größte US-Manöver im Pazifik mit Kampfansage gegen China statt, daran beteiligt die Flugzeugträger »USS Ronald Reagan«, »USS Theodore Roosevelt« und »USS Nimitz« mit Dutzenden Kampfjets. Der Befehlshaber des Indo-Pazifischen Kommandos, US-Konteradmiral Stephen Koehler, nannte die Marineverbände »phänomenale Symbole« der Macht der USA auf See.
Deutsche Frontstellung
Wo die pazifischen Verbündeten aufgerufen sind, ihren Beitrag zu leisten, will Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Deutschland nicht zurückstehen lassen. In einer Grundsatzrede an der Hochschule der Bundeswehr in München Ende 2019 gab die CDU-Vorsitzende den Kurs Richtung China aus. »Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen.«
In der Frontstellung gegen eine Kooperation mit China finden Trump und Kramp-Karrenbauer ganz neue Verbündete in der Bundesrepublik: So forderte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock eine Absage des ursprünglich für September geplanten EU-China-Gipfels in Leipzig wegen des Sicherheitsgesetzes in Hongkong. In einem Aufruf gegen den Gipfel hatten linke Leipziger Gruppen gar die Chuzpe, China ausgerechnet das Nichtbeachten der einseitigen völkerrechtswidrigen US-Sanktionen gegen den Iran zum Vorwurf zu machen. Damit wird das China-Bashing weiter gesellschaftsfähig gemacht. US-Republikaner vom äußersten rechten Rand der Tea-Party-Bewegung finden sich dabei in einer gemeinsamen ideologischen Front mit Grünen in Deutschland.
Doch der neue Propagandafeldzug von grün bis Trump will bislang nicht so recht zünden. Leitmedien beklagen, dass in Umfragen die Zahl derjenigen, die in Deutschland gute Beziehungen zu China einfordern, massiv gewachsen ist. 2019 hatten 50 Prozent noch gesagt, enge Beziehungen zu den USA seien wichtiger als die zu China; inzwischen sind es nur 37 Prozent. Umgekehrt ist der Anteil derer, die engere Beziehungen zu Beijing als zu Washington befürworten von 24 auf 36 Prozent gewachsen. Äquidistanz fordern jetzt 18 Prozent (2019: 13), so eine Erhebung im Auftrag der Körber-Stiftung.
Koloniale Vergangenheit
Wer mit chinesischen Politikerinnen und Politikern spricht, wird feststellen, dass – selbst wenn es eigene Kritik an Missständen im Land gibt – Belehrungen aus dem Westen eine geradezu allergische Reaktion auslösen. Gerade Angriffe auf die territoriale Integrität Chinas durch die Unterstützung von Unabhängigkeitsbewegungen etwa wie von den Leipziger Protestgruppen werden in Beijing historisch klar als neokolonialer Angriff eingeordnet. Die deutsche Vergangenheit ist in China vielen präsent. Insbesondere die »Hunnenrede« Kaiser Wilhelms II. gilt über alle Anschauungsgrenzen hinweg als Beispiel für rassistischen Kolonialismus. In Deutschland dagegen erntet man oft nur ungläubiges Staunen, wenn man auf diese unrühmliche Phase der deutsch-chinesischen Beziehungen erinnert.
Im Frühjahr 1900 fand der Aufstand der »Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie«, der im Westen Boxeraufstand genannt wurde, mit der Belagerung des Gesandtschaftsviertels in Beijing seinen Höhepunkt. Dort wurde der deutsche Gesandte Clemens von Ketteler auf offener Straße erschossen. Nachdem britische Truppen vergeblich versucht hatten, das Gesandtschaftsviertel zu befreien, sandten sechs europäische Staaten, die USA und Japan ein »Expeditionskorps« nach China. Am 27. Juli 1900 hielt Kaiser Wilhelm II. bei der Ausschiffung der deutschen Truppen in Bremerhaven seine berüchtigte »Hunnenrede« mit der Maßgabe: »Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1.000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.« Und während Großbritannien in der Folge Hongkong von China als Pachtgebiet und Kronkolonie erhielt, pachtete Deutschland 1898 das Gebiet Kiautschou (Jiaozhou). Für die einheimische Bevölkerung dort galt eine »Chinesenordnung«, während für die Europäer deutsches Recht angewandt wurde. Im Berliner Ortsteil Wedding ist noch heute die Kiautschoustraße nach diesem Kolonialgebiet benannt und der »Pekinger Platz« erinnert seit 1905 an die militärische Besetzung der chinesischen Hauptstadt bei der Niederschlagung des Aufstands im Herbst 1900 durch das internationale Truppenkontingent der Großmächte unter Führung des deutschen Generalfeldmarschalls Alfred von Waldersee. Nach diesem ist eine Straße im Bezirk Reinickendorf benannt, in Hannover erinnert ein monumentales Denkmal an den Ehrenbürger und »ruhmreichen Streiter für die Größe Deutschlands«. In Berlin-Steglitz bilden mit der Takustraße die Lans- und die Iltisstraße ein Ensemble, das seit 1906 die deutsche Beteiligung am Überfall auf China glorifiziert: Wilhelm Lans war Kommandant des Kanonenboots »Iltis«, von dem aus 1900 die strategisch bedeutsamen Dagu-Forts (Taku) beschossen wurden. Der Angriff war der Beginn eines Kolonialkrieges im Osten mit Massakern, Plünderungen, Zerstörungen und Vergewaltigungen, für den das Deutsche Reich Lans als »Nationalheld« ehrte und adelte. Für das erlittene Unrecht und den Raub Deutschlands in seiner chinesischen Kolonie wurde nie eine Entschädigung geleistet.
Wenn dieser Tage US-Präsident Donald Trump vom »chinesischen Virus« oder »Kung Flu« spricht und China als Hort der Corona-Pandemie zu stigmatisieren versucht, reiht er sich nahtlos in einen antichinesischen Rassismus ein, der sich aus der kolonialen und imperialen Zeit speist. Die strategische Frontstellung gegen die Volksrepublik China scheint der Quell zur Reaktivierung der rassistischen Ressentiments zu sein.
China ist immer schuld
Hier gibt es natürlich auch Nuancierungen. Aber selbst bei der Beurteilung von Konflikten Chinas mit seinen Nachbarn fällt auf, dass ohne viel Federlesens sofort Partei ergriffen wird. China ist der Schuldige, ja China muss immer der Schuldige sein. Dass dies aber nur funktioniert, wenn Ideologie Fakten ersetzt, ist sehr gut ablesbar am jüngsten Konflikt zwischen Indien und China im Himalaja-Gebirge und den entsprechenden Medienberichten in Deutschland dazu: »Wie aber kann Indien sein Gesicht wahren, wo immer offenkundiger wird, dass China seinen Vorteil an der nicht demarkierten Grenze im Himalaja sucht?«, fragt die Süddeutsche Zeitung, die die Verantwortung ganz bei China sieht, am 17. Juni. Das Onlineportal Spiegel titelte anlässlich der Auseinandersetzung im Himalaja am 22. Juni: »Rücksichtslos dehnt Peking seine Macht aus.« Einseitige Schritte der hindunationalistischen Regierung unter der Indischen Volkspartei von Premier Narendra Modi werden entweder nicht erwähnt oder als irrelevant für den Konflikt skizziert. Dabei war es die indische Führung, die an der gemeinsamen Kontrolllinie anfing, den Status der Grenzregion zu verändern und mit einem großangelegten Militärstraßenbauprogramm den Status Quo an der de-facto-Grenze in Frage zu stellen. Ermutigt wurde Indien dabei einmal mehr von US-Präsident Trump. Indien soll, wenn es nach Washington geht, eine besondere Rolle bei der US-Einkreisungs- und Herausforderungsstrategie gegenüber China spielen. Entsprechend hat Trump den jüngsten indisch-chinesischen Grenzkonflikt als Teil der »globalen Aggression Chinas« bezeichnet.
Propaganda wider die Faktenlage
Am 22. Juni 2020 war, so jubelte die FAZ, »ein Tag der Wahrheit in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und China«. Eigentlich sollte bei einem gemeinsamen Videogipfel eine »Agenda 2025« verabschiedet werden, mit den Zielsetzungen für die nächsten fünf Jahre. Doch der Gipfel brachte kein Ergebnis. Es herrscht eine Eiszeit zwischen der EU und China.
In Vorbereitung von Seiten der EU soll betont worden sein, dass China seinen heutigen Zugang zum europäischen Markt »nicht als selbstverständlich ansehen« könne. Die Begleitmusik zu dieser Eskalationsstrategie liefert ein Beschluss des Europäischen Parlaments, der den Europäischen Auswärtigen Dienst auffordert, gemeinsam mit Großbritannien eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der angeblichen Verletzung der Autonomie Hongkongs durch das chinesische Sicherheitsgesetz einzureichen. Sowohl der Inhalt der gemeinsamen britisch-chinesischen Erklärung zu Hongkong von 1984 wie auch die Tatsache, dass der Ständige Ausschuss des chinesischen Volkskongresses gemäß der Vereinbarung anerkannte Rechtsauslegungsinstanz für Hongkong ist, wird dabei nicht zur Kenntnis genommen.
Beim Ruf nach Sanktionen gegen China wegen des Sicherheitsgesetzes wird wie selbstverständlich von einem Bruch internationaler Vereinbarungen durch Beijing im Hinblick auf Hongkong ausgegangen, ohne dies allerdings belegen zu können. Während beispielsweise das UN-Rechtsbüro in Genf nach einer vorläufigen Analyse richtigerweise besorgt ist, »dass die Definition einiger in dem Gesetz aufgeführten Vergehen vage und allzu weit gefasst sind« und dies zu einer »diskriminierenden oder willkürlichen Interpretation und Vollstreckung des Gesetzes führen [könne], was den Schutz der Menschenrechte unterminieren könnte«, zielte die Kritik von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in erster Linie auf die angebliche Verletzung der Autonomie Hongkongs mit dem Ziel, die Auseinandersetzung internationalisieren zu können und Begründungen für spätere Sanktionsregime zu konstruieren. Das Sicherheitsgesetz stehe nicht mit Chinas internationalen Verpflichtungen in Einklang und untergrabe die Autonomie Hongkongs, so die Exponenten von EU und NATO. In der Debatte um das Auslieferungsgesetz Hongkongs war in der Vergangenheit ähnlich argumentiert worden. Um die Causa Hongkong zu internationalisieren, stand auch damals nicht die inhaltliche Kritik am Gesetz im Vordergrund, sondern die Behauptung, Beijing verletze damit internationale Verpflichtungen.
In einem Gutachten zum völkerrechtlichen Status Hongkongs anlässlich des Auslieferungsgesetzes kamen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu dem Schluss: »Da die Gemeinsame Erklärung keine ausdrücklichen Regelungen zu Auslieferungsfragen enthält, verstößt das Gesetz selbst nicht gegen die Gemeinsame Erklärung.« Diese Rechtspositionen werden in der Debatte um das Sicherheitsgesetz schlicht ignoriert und tendenziell durch Behauptungen ersetzt.
Statt von einer »weitgehenden Autonomie«, die in der Gemeinsamen Erklärung erwähnt wird, wird de facto von einer politischen und juridischen Unabhängigkeit Hongkongs ausgegangen, die nicht in Einklang steht mit der gewährten relativen Autonomie innerhalb Chinas. Die Unterstützung von Unabhängigkeitsbewegungen in China wird dort jedenfalls sensibel beobachtet und als Angriff auf die staatliche Souveränität gewertet sowie historisch in die kolonialen Bemühungen zur Zerschlagung und Aufteilung des Landes eingeordnet. Der Vorwurf der Völkerrechtsverletzung wird als nicht substantiiert und politisch tendenziös empfunden. Denn auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hatten im Hinblick auf die Autonomie Hongkongs und die Rolle des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses festgestellt: »Hongkong hat eine von China nur eingeschränkt unabhängige Gerichtsbarkeit. Insbesondere kann das Basic Law nur in bestimmten Fällen von Hongkonger Gerichten ausgelegt und interpretiert werden. In allen übrigen Fällen ist der Ständige Ausschuss des chinesischen Nationalen Volkskongresses für die Auslegung des Basic Law zuständig. Artikel 158 des Basic Law sieht diesbezüglich vor, dass die Gerichte Hongkongs Bestimmungen des Basic Law selbstständig auslegen, die innerhalb der Autonomie der Sonderverwaltungsregion liegen. Fallen die Bestimmungen aber in die Zuständigkeit der zentralen Volksregierung oder betreffen sie das Verhältnis zwischen den Zentralen Behörden und der Sonderverwaltungsregion, müssen die Gerichte den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses um Auslegung bitten. Diese Auslegung ist verbindlich.«
Eine breite Kampagne
Die Zeichen im Verhältnis von EU und China stehen auf Sturm. Eine breite Koalition von Grünen bis AfD reiht sich ein in die koordinierte Kampagne gegen die Volksrepublik und trommelt dafür, der Eskalationspolitik Trumps zu folgen. Grünen-Kofraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, fordert »klare Ansagen« an den »Regelbrecher« China. Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin will Schluss machen »mit dem deutschen Schlingerkurs zwischen Appeasement und Symbolik«. Seine Fraktionskollegin Margarete Bause fordert ein EU-Sanktionsgesetz mit Einreisesperren und Kontensperrungen. Ins gleiche Horn bläst die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses findet, die Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes sei der »letzte Sargnagel« für die Autonomie in Hongkong und ein Bruch des Völkerrechts, die Bundesregierung müsse China »endlich rote Linien aufzeigen« und auf EU-Ebene personenbezogene Sanktionen gegenüber KP-Funktionären einführen. Der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun kritisiert schließlich: »Angela Merkel macht vor den chinesischen Kommunisten einen Kotau. An der Bürgerrechtsbewegung in Hongkong zeigt sie sich demonstrativ desinteressiert.«
Sollten diese Leute erfolgreich sein und es schaffen, die EU und Deutschland mit in einen Wirtschaftskrieg gegen China zu zwingen, der wie im Fall von Russland mit Sanktionen gegen Personen anfängt, wären die Auswirkungen für die wirtschaftliche und soziale Situation hierzulande gravierend. In einem ganz anderen Ausmaß als bei den Russlandsanktionen würde man sich selbst schaden, nur, um beim Kampf des US-Imperialismus gegen China mit dabei sein zu dürfen.
Es steht zu erwarten, dass das China-Bashing enorm zunehmen wird, um stufenweise zu einem harten einseitigen und völkerrechtswidrigen Sanktionsregime gegen die Volksrepublik zu kommen. Ziel ist nicht etwa eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China. Die Politik der Nadelstiche soll vielmehr den politisch-ökonomischen Aufstieg des Landes vom vormaligen Kolonialsubjekt des Westens zu einem Akteur auf Augenhöhe stoppen oder zumindest verlangsamen. Dafür soll die Öffentlichkeit mobilisiert werden. So bitter es klingt, es gehört zu dieser Mobilisierung für imperialistische Ziele, dass die Statuen von Massenmördern im antichinesischen Kolonialkrieg in Deutschland weiter unberührt auf ihren Sockeln stehen und man sich darüber ausschweigt, während zurecht das Schleifen von Denkmälern, die an die Exponenten der US-amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft erinnern, laut beklatscht wird. Wann, wenn nicht jetzt aber wäre die Zeit, auch einen Alfred von Waldersee und Wilhelm Lans zu stürzen?
Sevim Dagdelen ist Mitglied und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages und Sprecherin für Abrüstungspolitik der Fraktion Die Linke.
Quelle: junge welt