„Seine Rechte werden systematisch verletzt“

An diesem Donnerstag fand in London die dritte Anhörung zum Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange statt. Es geht darum, ob der Wikileaks-Gründer auf Grundlage des US-Gesetzes gegen Spionage an die USA ausgeliefert werden soll. Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete für die Linkspartei, war als Prozessbeobachterin vor Ort. Sie besuchte Assange bereits vergangenes Jahr im Ecuadorianischen Botschaftsasyl.


der Freitag: Frau Dağdelen, warum sind Sie heute nach London zum Termin gereist?

Sevim Dağdelen: Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Julian. Ich habe ihn vor einem Jahr im Botschaftsasyl besucht. Am Tag seiner Verhaftung hatte ich ebenfalls einen Besuchstermin. Ich bin jetzt sehr alarmiert wegen der Berichte von Ärzten und des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer, die bezeugen, dass er in schlechter gesundheitlicher Verfassung ist. Ich habe Angst, dass er das Verfahren nicht überleben wird. Ich wollte mir außerdem einen Eindruck machen über die rechtsstaatlichen Bedingungen, unter denen die Verteidigung arbeitet.

Der Gerichtssaal hatte nur 13 Sitzplätze. Viele, die als Prozessbeobachter*innen reinwollten, mussten draußen bleiben. Auch der Vertreter der deutschen Botschaft und ich wurden beinahe abgewiesen, aber wir bekamen am Ende Stehplätze. Mir kam vor, als würde das Gericht die Personen rauspicken, die sie dabei haben wollen. Diese Methode kenne ich aus der Türkei: Da werden die wichtigsten Verhandlungen in kleinen Gerichtssälen durchgeführt, obwohl es auch Säle für 100 Zuschauer*innen gäbe. Bei einem Fall von dieser Tragweite muss der Zugang für internationale Prozessbeobachter*innen aber gewährleistet sein. Für den Auslieferungsprozess im Februar haben sich 25 Abgeordnete aus zwölf Ländern bereit erklärt, als Prozessbeobachter*innen vor Ort zu sein. Es ist aber unklar, ob das Gericht das überhaupt gestattet.

Worüber wurde im Gerichtssaal verhandelt?

Heute ging es um Verfahrensfragen. Die Verteidigung kündigte an, 21 Zeug*innen zum Prozess vorzuladen. 16 von ihnen werden vor Gericht aussagen. Zudem bat die Verteidigung darum, das Datum für den Prozess zu verschieben, damit sie mehr Zeit hat für die Vorbereitung. Ursprünglich sollte im Februar Prozessbeginn sein.

Warum braucht die Verteidigung so lange für die Vorbereitung?

Die Verteidigung muss unzählige Akten durchgehen und Vorwürfe überprüfen. Allein die Chelsea-Manning-Akten umfasst zirka 20.000 Seiten. Ihre Arbeit ist noch erschwert dadurch, dass Assanges Anwältin in den vergangenen drei Wochen kaum Zugang zu ihrem Mandanten hatte. Zwei Wochen lang hatten sie gar keinen Kontakt. Unter diesen Bedingungen kann sich die Verteidigung nicht angemessen vorbereiten und schon gar nicht in der kurzen Zeit.

Wie wirkte Assange in der Video-Zuschaltung?

Er saß gekrümmt da. Er wirkte nicht so wach und scharfsinnig, wie er es eigentlich ist, sondern apathisch. Er ist gezeichnet von den Bedingungen, unter denen er festgehalten wird. Assange muss genesen können, damit er seine Verfahrensrechte menschenrechtskonform ausüben kann. Stattdessen wird er 23 Stunden am Tag in Einzelhaft fest gehalten und weist laut dem UN-Bericht Zeichen von psychischer Folter auf. Das ist inakzeptabel. Ihm droht lebenslange Haft, da muss er sich doch richtig vorbereiten können.

Was entschied die Richterin zur Verschiebung des Prozesstermins?

Sie schlug vor, den Termin beim 24. Februar zu belassen, aber den Prozess statt auf wenige Tage, auf drei bis vier Wochen anzusetzen. Das wiederum lehnten die Ankläger aus den USA ab, weil der Anwalt nicht so lange Zeit habe. Sie schlugen stattdessen vor, den Prozess aufzuteilen: Zwei Wochen im Februar, zwei im April.

Was passiert jetzt?

Morgen ist eine Anhörung zum Verfahren gegen das spanische Security Unternehmen UC Global. Im Januar geht es mit den Terminen zum Auslieferungsverfahren weiter. Die Richterin wird vermutlich am 23. Januar bekannt geben, wie und wann der Prozess stattfinden wird.

Was bedeutete dieser Termin für das Verfahren insgesamt?
Ich bin ziemlich erstaunt über die systematische Verletzung der Verfahrensrechte von Julian Assange durch das Gericht und die Ignoranz gegenüber dem großen öffentlichen Interesse. Das lässt mich vermuten, dass auch der Prozess im Februar nicht unter rechtsstaalichen Bedignungen ablaufen wird. Für ein Mitgliedstaat der EU ist es ein Armutszeugnis, dass jemand wie Assange wie ein Terrorist behandelt wird. Ich kann kein faires Verfahren bezeugen.

Und Deutschland?

Die Deutsche Botschaft verfolgt das Verfahren auf Anweisung des Auswärtigen Amts. Das begrüße ich sehr. Es hat Aussagekraft: Normalerweise beobachtet die deutsche Botschaft solche Verfahren ausserhalb der EU.

Das Gespräch führte Anina Ritscher.

Quelle: der Freitag