von Sevim Dagdelen
Ein 40-jähriger Georgier, Selimchan Changoschwili, der in der russischen Teilrepublik Tschetschenien auf Seite der Separatisten gekämpft haben soll, wurde am 23. August 2019 im Kleinen Tiergarten im Berliner Stadtteil Moabit von hinten in Rücken und Kopf geschossen. Der mutmaßliche Täter wurde kurz darauf gefasst, sitzt seither in Untersuchungshaft und schweigt zu den Vorwürfen.
Am 4. Dezember 2019, gut drei Monate nach dem Mord wies Deutschland zwei russische Diplomaten aus. Mit der Ausweisung der beiden Diplomaten reagierte Deutschland nach Angaben des Auswärtigen Amtes darauf, dass die russischen Behörden trotz “wiederholt hochrangiger und nachdrücklicher Aufforderungen“ nicht hinreichend an der Aufklärung mitgewirkt hätten. Dabei gebe es “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte”, “dass die Tötung entweder im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist”.
Glaubwürdigkeit der Bundesregierung erschüttert
Doch das erste justizielle Rechtshilfeersuchen wurde erst am 6. Dezember 2019 durch die Berliner Staatsanwaltschaft an die russische Generalstaatsanwaltschaft übersandt, also zwei Tage nach der Ausweisung der zwei russischen Diplomaten. Das geht aus einer Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen hervor, über die tagesschau.de zuerst berichtete. Die Staatsanwaltschaft Berlin war bis zur Übernahme des Falls durch den Generalbundesanwalt wenige Tage zuvor die zuständige Ermittlungsbehörde.
Bis zum 6. Dezember scheint es allerdings laut der schriftlichen Anfrage überhaupt keine justiziellen Rechtshilfeersuchen gegeben zu haben. Außenexpertin Dagdelen erklärte dazu: “Die Bundesregierung hat gegenüber der Öffentlichkeit als Grund für die Ausweisung den Eindruck erweckt, dass die russische Justiz nicht adäquat kooperiere. Es erschüttert nun die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, dass deutsche Behörden erst Monate nach dem Mord und sogar auch noch nach der Ausweisung der russischen Diplomaten offizielle Rechtshilfeersuchen an die russische Seite stellten.”
Außenminister muss Vorgehen erklären
Stattdessen habe es laut Bundesregierung zwischen Ende August und November 2019 lediglich “Kontaktaufnahmen” (Erkenntnisanfragen und Ersuchen) deutscher Behörden wie Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Bundesnachrichtendienst (BND), Auswärtiges Amt, Bundeskanzleramt – zu russischen Stellen, unter anderem an die Russische Botschaft in Berlin, den Föderalen Dienst für Sicherheit (FSB), den Dienst der Außenaufklärung (SWR), die Hauptverwaltung für Aufklärung (GRU) und die Präsidialadministration der Russischen Föderation, mit Fragen zum Tötungsdelikt im Kleinen Tiergarten gegeben. Dagdelen hält das für empörend: “Es ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung hier vor allem auf eine funktionierende Kooperation von deutschem und russischen Geheimdiensten hoffte, statt umgehend den offiziellen Weg der Rechtshilfe zu gehen”, sagte sie.
Außenminister Heiko Maas (SPD) muss sich nun aber die Frage gefallen lassen, warum die Diplomaten ausgewiesen wurden, ohne zuvor den international vereinbarten Weg der Rechtshilfe beschritten zu haben.
Quelle: linksfraktion.de