Sevim Dagdelen im Gespräch mit Jörg Münchenberg vom Deutschlandfunk
Jörg Münchenberg: Ein türkischer Anwalt hilft der deutschen Botschaft in Ankara, Informationen zu in Deutschland laufenden Asylverfahren einzuholen, etwa ob den Menschen in ihrem Heimatland die Verfolgung droht. Eine international übliche Praxis – heißt es dazu im Auswärtigen Amt in Berlin. Und dieser Anwalt ist jetzt von den türkischen Behörden verhaftet worden, verbunden wohl auch mit der Beschlagnahmung von sensiblen Akten. Am Telefon ist nun Sevim Dagdelen. Sie sitzt für Die Linke im Bundestag. Frau Dagdelen, einen schönen guten Morgen.
Sevim Dagdelen: Schönen guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Frau Dagdelen, wie bewerten Sie diese Verhaftung des Vertrauensanwalts? Ist das eine neue Qualität, oder reiht sich das am Ende doch in eine ganze Reihe von willkürlichen Verhaftungen in der Türkei?
Dagdelen: Nun, es ist jetzt natürlich wieder ein neuer Anschlag auf die deutsch-türkischen Beziehungen. Es ist davon auszugehen, dass diese Verhaftung unter fadenscheinigen Vorwänden auch von ganz oben orchestriert worden ist, meiner Meinung nach. Aber Sie haben natürlich recht, wenn Sie andeuten, dass wir sowieso ein schwieriges Verhältnis haben. Wir haben über 60 deutsche Staatsangehörige in den türkischen Gefängnissen im Moment. Wir haben mehrere Dutzend deutsche Staatsbürger oder Menschen, die in Deutschland einen Aufenthaltsstatus haben, die in der Türkei festgehalten werden, an der Ausreise gehindert werden, auch unter fadenscheinigen Begründungen, Terrorismusverdacht et cetera pp., weil sie in den sozialen Medien was Kritisches zum Präsidenten gepostet haben. Insofern gibt es eine Willkürherrschaft in der Türkei, und wenn man jetzt nicht mit harten Maßnahmen reagiert, wird der türkische Präsident Erdogan in Zukunft noch unverfrorener natürlich auch Rechtsbrüche setzen.
Drohungen aus Ankara gegen Schutzsuchende
Münchenberg: Nun sind ja Tausende seit dem versuchten Militärputsch aus der Türkei geflohen, darunter auch viele Gefolgsleute der Gülen-Bewegung. Das hat die Türkei ja wiederholt scharf kritisiert. Könnte das auch in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen?
Dagdelen: Na selbstverständlich, es hat auch damit zu tun. Das kann man jetzt erst einordnen, weil jetzt dieser Skandal erst öffentlich geworden ist. In den letzten Wochen gab es öffentliche Erklärungen des Präsidenten Erdogan, seines Innenministers Süleyman Soylu, seines Deutschland-Beauftragten und engen Vertrauten Metin Külünk, dem nachgesagt wird, das Erdogan-Netzwerk in Deutschland zu führen und direkte Anordnungen zu treffen, was man gegen Oppositionelle hier zu tun und zu lassen hat. So hat Külünk zum Beispiel am 12. November über seinen Twitter-Account unverhohlen Schutzsuchenden in Deutschland gedroht und Maßnahmen gegen diese angekündigt, Süleyman Soylu genauso. Aber er hat das mit einer solch detaillierten Kenntnis über die Personen, die sich in Deutschland befinden, getan, wo ich mich schon gefragt habe, was führen die da im Schilde. Und jetzt weiß man ja, die Daten sind offensichtlich schon seit spätestens 18. September in den Händen der türkischen Behörden. Ich finde das skandalös, natürlich diese Verhaftung, aber ich finde es mindestens genauso skandalös, dass die deutsche Regierung so grob fahrlässig mit so sensiblen Daten umgegangen ist, dass Leute, die vielleicht sogar nicht tatsächlich gefährdet waren, jetzt spätestens gefährdet sind.
Identitätsprüfung trifft auf Verfolgungspraxis in der Türkei
Münchenberg: Sie sagen, die Bundesregierung sei mit den Daten grob fahrlässig umgegangen. Auf der anderen Seite agierte ja dieser Anwalt im Namen auch der Botschaft. Es ging darum, Informationen zu sammeln. Wie können solche Daten besser geschützt werden?
Dagdelen: Zunächst einmal muss man erst einmal sagen, ob die Behauptung von der Bundesregierung und des Auswärtigen Amts, dass das eine völlig unstrittige Praxis wäre, ob das so stimmt – weil sie stimmt nicht, es ist mitnichten unstrittig. Diese Praxis wird seit Jahren heftigst kritisiert und auch in Frage gestellt, weil in diesen Verfahren auf die Anerkennung als Asylberechtigter oder das Feststellen auf Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft werden durch Antragssteller in Deutschland häufig gerichtliche Entscheidungen, behördliche Unterlagen des Verfolgerstaates vorgelegt. Es ist nicht so, dass die Leute einfach hier hinkommen und sagen, ich werde verfolgt und deshalb möchte ich Asyl beantragen. Es werden Angaben getätigt und vorgelegt.
Dann gibt es häufig durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – das ist die Behörde, die dafür zuständig ist, wenn Menschen hier Schutz suchen – eine Auskunft des Auswärtigen Amts, dahingehend eingeholt, ob diese vorgelegten Unterlagen authentisch sind beziehungsweise der Sachvortrag des Antragsstellers quasi auch zutreffend ist.
Münchenberg: Aber das ist doch genau der Punkt, Frau Dagdelen. Das macht ja durchaus Sinn aus Sicht des BAMF, dass man sagt, man überprüft diese Angaben von Asylsuchenden.
Dagdelen: Natürlich ist es in Ordnung, wenn man das zur Identitätsfeststellung macht, zur Dokumentensicherheit macht und so weiter. Aber die Frage ist doch: Ist es richtig, wenn das BAMF, das als Behörde eigentlich dafür zuständig ist, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren, dazu mit beitragen kann, wie in diesem vorliegenden Fall, dass sich die Verfolgungsgefahr für hunderte Geflüchtete aus der Türkei drastisch verschärft, weil der Verfolgerstaat Türkei genauestens mitbekommt, welcher Betroffene hier welche Gründe vorlegt in Deutschland. Spätestens da werden diese Leute tatsächlich gefährdet sein. Das weiß man aufgrund dieser Verfolgungspraxis in der Türkei.
Ich sagte Ihnen bereits: Menschen, die in Deutschland oder anderswo auf der Welt ein kritisches Posting machen in den sozialen Medien, sind bereits gefährdet. Deshalb gibt es verschärfte Reisehinweise durch das Auswärtige Amt. Und jetzt quasi einen Rechtsanwalt als Detektiv zu beauftragen, im Ausland mit Behörden des Verfolgerstaates zu arbeiten und darauf aufmerksam zu machen, wer Schutzsuchend ist in der Türkei, das ist ja absurd, diese Praxis. Ich finde, damit muss man sensibler umgehen.
Dagdelen: Regierung handelt „unverantwortlich“
Münchenberg: Aber ist das nicht das Problem eher der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in der Türkei? Weil noch mal: Der deutsche Staat hat natürlich ein Interesse daran, muss ein Interesse daran haben, Angaben von Asylsuchenden zu überprüfen.
Dagdelen: Aber das darf nicht dazu führen, dass der Schutz der Betroffenen und der gegebenenfalls noch im Heimatland verbliebenen Familienangehörigen gefährdet ist. Diese Praxis darf normalerweise auch nicht dazu führen, dass so eine anwaltliche Nachfrage zu einer späteren Geltendmachung von Nachfluchtgründen führt, und das ist ja jetzt der Fall. Das ist ein Nachfluchtgrund. Diese Menschen sind spätestens jetzt gefährdet. Wie ich sagte: Man kann eine Praxis führen, zur Identitätsfeststellung der Dokumente, ob sie wahrhaft sind oder nicht. Aber einen Anwalt zu beauftragen, quasi als Detektiv in einem Verfolgerstaat Dinge herauszufinden, die er eigentlich auch gar nicht darf, weil das Mandat von dem Betroffenen selbst für ihn fehlt, weil das ist ja der Graubereich, in dem sich dieser Kooperationsanwalt befindet – so sauber ist die Argumentation der deutschen Botschaft nämlich nicht, das darf man schon festhalten. Weil er hat ja gar kein Mandat der Betroffenen. Es gibt Rechtsanwälte in der Türkei, die sagen, sie hätten niemals so ein Mandat angenommen, weil die Informationen, um die es hier geht, üblicherweise nur zwischen staatlichen Behörden ausgetauscht werden. Das heißt, man hätte eigentlich gucken müssen, ob es Botschaftspersonal gibt, eigene Auslandsvertretungen, die eigene Möglichkeiten haben, die erforderlichen Informationen zu beschaffen. Das hätte rechtlich eine sichere Bank werden können. Jetzt ist sogar dieser Anwalt gefährdet und das halte ich deshalb für unverantwortlich, wie die Bundesregierung damit umgegangen ist.
Sorge um deutsch-türkische Beziehungen
Münchenberg: Aus dem Auswärtigen Amt, Frau Dagdelen, heißt es jetzt, die Entscheidung sei nicht nachvollziehbar, diese Verhaftung des Anwalts. Auch der Außenminister hat schon Gesprächsbedarf angemeldet. Hätten Sie sich trotzdem eine deutlichere Reaktion gewünscht?
Dagdelen: Nun, selbstverständlich! Und vor allen Dingen frage ich mich, was Herr Maas seit dem 18. September gemacht hat. Das ist ja schön und gut, dass er mit seinem Freund, dem Außenminister Cavusoglu aus der Türkei jetzt mal das Gespräch sucht. Aber spätestens seit 18. September sind diese Schutzsuchenden in Deutschland einer unmittelbaren konkreten Gefährdung ausgesetzt gewesen, weil davon auszugehen ist, dass der türkische Geheimdienst, dass das türkische Netzwerk des Präsidenten Erdogan in Deutschland, bestehend aus Spitzel-Imamen und Schlägerbanden, über diese Informationen verfügt. Und wir wissen, dass sie nicht mehr im Inland, sondern auch im Ausland rabiat gegen Oppositionelle vorgehen. Ich frage mich zum Beispiel auch: Bis heute wurden nicht alle Betroffenen von den Sicherheitsbehörden angesprochen über ihre Gefährdungslage. Warum hat man monatelang gewartet, um die jetzt quasi nacheinander zu informieren, diese Menschen?
Münchenberg: Was ist da Ihre Vermutung? Sie sagen ja, der Mann wurde Anfang September in Haft genommen. Warum ist diese Verhaftung erst so spät bekannt geworden?
Dagdelen: Ich vermute, dass die Bundesregierung den Ball flach halten wollte und schauen wollte, dass man nicht weiter eskaliert in den deutsch-türkischen Beziehungen. Aber es ist ganz wichtig zu sagen, was ist denn die Ursache für diese Eskalation. Es sind ja nicht wir, sondern es ist die türkische Regierung. Ich hoffe, dass die Bundesregierung dies auch als ein Alarmzeichen für den Zustand der deutsch-türkischen Beziehungen sieht. Das Regime des türkischen Präsidenten scheint ja, bei diesem mafiösen Vorgehen keine Grenzen mehr zu kennen, während die Bundesregierung gleichzeitig ihren Schmusekurs gegenüber der Türkei fortsetzt. Man weiß über diese Verhaftung, man weiß über die Gefährdung von Dutzenden, wenn nicht Hunderten Asylantragsstellern in Deutschland. Da sind 250 Akten, die in den Besitz der türkischen Regierung gelangt sind. Vertrauliche und hoch sensible Daten sind da drauf. Und die Bundeskanzlerin Merkel hat in Kroatien noch vor einigen Tagen noch mal Geldhilfen in Aussicht gestellt für den Präsidenten. Das halte ich für die falsche Politik. Wir brauchen jetzt harte Maßnahmen.
Quelle: Deutschlandfunk