Gastkommentar von Sevim Dagdelen in der Wochenzeitung “Unsere Zeit” vom 12.3.2020:
Erneut kann der türkische Präsident Erdogan einen Erfolg melden. Erfolgreich hat der Autokrat Flüchtlinge als Erpressungspotential eingesetzt, um EU und NATO zur stärkeren finanziellen wie militärischen Unterstützung in Syrien anzuhalten. Das ist das üble Fazit seines Brüssel-Besuches. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán standen dabei in der ersten Reihe der Europäer, die darauf drängten, noch mehr Geld an Erdogan zu zahlen. Und die NATO versprach, die eingereichte Wunschliste Ankaras wohlwollend zu prüfen. Darunter der Ruf nach mehr NATO-Luftverteidigung an der türkischen Grenze zu Syrien, nach mehr Aufklärungsflugzeugen und mehr Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer, zudem NATO-Unterstützung für Erdogans Drohnenkrieg in Idlib.
Berlin und Brüssel sollen Garant für den Terrorstaat sein, den Erdogan gemeinsam mit der Al-Kaida im Norden der syrischen Provinzen Idlib und Aleppo errichtet hat. Das Ziel ist die Annexion dieser Gebiete und die Vertreibung von Kurden, Christen und Jesiden. Es ist begreiflich und schändlich zugleich, dass die Bundesregierung, um möglichst viel Nebel über ihre Mitttäterschaft zu verbreiten, an der Benennung der Al-Kaida-Mörderbanden als „Rebellen“ festhält und auf der anderen Seite die US-Putschpolitik im Nahen Osten als Fluchtursache nicht benennen will. Wer es wagt, über diese Fluchtursache des Regime-Change-Krieges auch nur zu sprechen, wird als Unterstützer Assads abgemahnt oder gar bezichtigt, sich gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen auszusprechen. Die Wahrheit soll und darf nicht ans Licht. Denn dann müsste man auch über die schwere Mitschuld der Bundesregierung an den Verbrechen in Syrien sprechen. Wer die Inhumanität an der Grenze gegenüber den Flüchtlingen anprangern und die brutale Abschottungspolitik der EU wirklich kippen will, der darf über den imperialistischen Regime-Change-Krieg als Fluchtursache nicht schweigen.
Die Bundesregierung hat 2019 mit 32 Millionen Euro doppelt so viele Rüstungsexportgenehmigungen wie im Vorjahr an die Türkei ausgesprochen. Mit diesen Waffen unterstützt Erdogan den islamistischen Terrorismus in Syrien und in Libyen. Vor diesen Waffen fliehen die Menschen. Das muss beendet werden. Das Recht auf Asyl muss wiederhergestellt werden, aber es braucht auch die Beendigung der Putschpolitik des Westens und der Rüstungsexporte, sonst wird sich grundlegend nichts ändern.
Quelle: Unsere Zeit