Massensterben durch Sanktionen beenden

Um die Ausbreitung von Corona zu bekämpfen und Erkrankte zu versorgen, müssen weltweit Ressourcen mobilisiert werden. Einseitige Wirtschaftssanktionen verhindern die Einfuhr von Medikamenten und medizinischem Material. Das ist unverantwortlich und unmenschlich. Die Hilferufe aus Syrien und Iran, Venezuela und Kuba nach einem Ende des Embargos müssen endlich gehört werden. DIE LINKE im Bundestag fordert internationale Kooperation im globalen Kampf gegen die Pandemie statt Blockaden und Kollektivstrafen für die Bevölkerungen.

Hier unser Positionspapier „In Zeiten der Krise und danach: Solidarität über Grenzen hinweg“ im Wortlaut:


In Zeiten der Krise und danach: Solidarität über Grenzen hinweg

Die Corona-Pandemie trifft die gesamte Menschheit. Kein Land bleibt auf Dauer davon verschont. Zusammenhalt und Solidarität müssen deshalb Grenzen überschreiten, auch wenn die Grenzen für den Reiseverkehr geschlossen werden. Hoffnung machen neue und ungewohnte internationale Kooperationen. Wenn wir durch internationales solidarisches Handeln die Krise am besten bekämpfen, dann sollten wir auch die Chance nutzen, die internationalen Beziehungen insgesamt auf neue Grundlagen zu stellen: Wir brauchen in der Krise und danach neue internationale Beziehungen, die auf Kooperation und gegenseitige Unterstützung aufbauen, statt auf Verdrängungswettbewerb, Ausbeutung und militärische Macht.

Bundeswehr aus Auslandseinsätzen abziehen

Erst recht unter den Bedingungen der Pandemie ist es unverantwortlich, weitere Bundeswehrsoldaten ins Ausland zu entsenden. Die Linksfraktion lehnt auch deshalb das Ergänzungsmandat für den Einsatz der Anti-IS-Koalition im Irak und Syrien und eine bereits geplante neue EU-Militärmission im Mittelmeer ab. Die Soldaten und Soldatinnen, die sich bereits in Auslandseinsätzen befinden, sollen nach Deutschland zurückkehren. Die jeweilige Sanitätsinfrastruktur muss nach Deutschland verbracht und für etwaige Unwägbarkeiten im Kampf gegen Corona vorgehalten werden. Dies ist auch keine Zeit für internationale Militärmanöver und andere Drohgebärden. Auch, wenn DEFENDER Europe 2020 am Coronavirus gescheitert ist, planen die US-Militärs schon die nächsten Großmanöver in Mitteleuropa. Wir lehnen diese Militäraufmärsche ab.

Haushalt auf Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Krise ausrichten statt aufrüsten 

Die Haushaltsplanung für 2021 muss an die Herausforderungen der Corona-Krise angepasst werden. Der bereits überdimensionierte Verteidigungshausalt muss gekürzt statt wie vorgesehen erhöht werden. Zentrale Rüstungsprojekte müssen gestoppt werden, auch um finanzielle Ressourcen für die Bekämpfung der Corona-Krise freizusetzen und auch andere Länder mit weniger Möglichkeiten dabei zu unterstützen.

Schon heute geben die NATO-Staaten jährlich zusammen rund 1000 Milliarden US-Dollar für Rüstung und Militär aus. Die Aufrechterhaltung der NATO-Aufrüstungsforderungen, die jüngst Generalsekretär Jens Stoltenberg noch einmal bekräftigt hat, lehnen wir ab, das Geld wird für die Bekämpfung der Pandemie und deren wirtschaftliche Folgen dringend gebraucht.

Wir brauchen mehr Personal, gute Krankenhäuser und größere Notfallkapazitäten statt neuer Kampfjets und teurer Kampfpanzer. Mehr noch: die finanziellen und materiellen Ressourcen, die die Bundeswehr hat, müssen jetzt in den Dienst der Allgemeinheit gestellt werden – aber ausschließlich für die Bereiche zivile Logistik und Sanitätswesen. Die von Annegret Kramp-Karrenbauer angebotene Mitwirkung des Militärs an der „Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung“ im Innern lehnen wir kategorisch ab. Wir wollen nicht, dass bewaffnete Soldaten polizeiliche Aufgaben übernehmen, z.B. die Einhaltung von Quarantänevorschriften überwachen.

Jetzt ist der richtige Moment, um in Deutschland und der Europäischen Union (EU) zivile Einsatzkorps für medizinische Zwecke und Katastrophen aufzubauen und hierfür auch bisher militärisch genutzte Ausrüstung umzuwidmen. Die Bundesregierung muss in der Notsituation verfügen, dass militärische Produktionskapazitäten umgestellt werden auf die Herstellung von dringend benötigtem medizinischem Material, wie etwa Atemgeräten, Schutzmasken, etc.

Geflüchtete aufnehmen

In Griechenland leben über 40.000 Geflüchtete auf den ostägäischen Inseln unter menschenunwürdigen Bedingungen und aufgrund der Enge unter hoher Infektionsgefahr. Infizierten Geflüchteten steht keine adäquate medizinische Behandlung zur Verfügung. Dort steht das Leben vieler Menschen auf dem Spiel. Auch für die einheimische Bevölkerung ist das Risiko groß. Deshalb ist es falsch, dass die Bundesregierung das, ohnehin viel zu geringfügig angesetzte, Aufnahmeprogramm ausgesetzt hat. Stattdessen muss die Bundesregierung gemeinsam mit anderen europäischen Staaten die Geflüchteten von den griechischen Inseln evakuieren und aufnehmen. Wir brauchen nun diesen Akt der Menschlichkeit und unterstützen die Kampagne #LeaveNoOneBehind.

Die Mittel der EU nutzen, grundlegende Reformen einleiten

Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen untereinander mehr Solidarität zeigen – bislang ist davon wenig zu spüren. Die Vorschläge und Maßnahmen der EU zur Bewältigung der Krise kommen spät und sind unzureichend. Richtige Maßnahmen, wie die temporäre Aussetzung der Defizitregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts, müssen auf Dauer gestellt und grundlegende Reformen, etwa der EU-Beihilferegeln, der Aufgaben und Rolle der EZB, müssen eingeleitet werden.

Vor allem hat die EU den Aufbau von Kapazitäten für Katastrophenfälle verschlafen. Bereits im Februar hatte Italien den EU-Zivilschutzmechanismus aktiviert, Spanien zog Mitte März nach. Doch keine Regierung antwortete auf die Hilfeersuchen. Stattdessen erließen unter anderem Deutschland und Frankreich sogar Exportverbote für medizinische Ausrüstung. Erst nach Wochen leistete Deutschland bilateral zaghafte Unterstützung. Viel zu spät, als in Italien bereits Hunderte täglich starben, beschloss die Kommission, medizinische Ausrüstung zur Bekämpfung von Covid-19 zu bevorraten.

Das Budget für diese Mittel muss deutlich erhöht werden. Außerdem muss die Bundesregierung mit anderen EU-Mitgliedstaaten Notfallressourcen für den Europäischen Katastrophenschutz-Pool bereitstellen.

Internationale Zusammenarbeit in der Corona-Krise 

Die Bundesregierung muss zudem eine bessere Kooperation mit denjenigen Staaten suchen, die bereits wertvolle Erfahrungen bei der medizinischen Bekämpfung von Corona gemacht haben: Beispielsweise haben China und Südkorea offenbar bereits Erfolge bei der Eindämmung erzielt. In der ganzen Welt gewonnenes medizinisches Wissen muss in die Pandemiebekämpfung in Europa einfließen – und umgekehrt in Europa gewonnene Erkenntnisse mit anderen Ländern geteilt werden.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung beispielsweise nicht auch die Zusammenarbeit mit Kuba sucht, das über eine herausragende Expertise im internationalen Kampf gegen Epidemien und Pandemien verfügt. Kubanische Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte haben ihre Expertise in früheren Krisen (z.B. Ebola) erfolgreich eingesetzt und werden deshalb auch jetzt von vielen Ländern des Südens um Hilfe gebeten. In der Europäischen Union haben diese Hilfe schon Italien und Spanien angefragt, das erste Fachpersonal ist in Italien eingetroffen. Die Bundesregierung könnte die medizinische Zusammenarbeit mit Kuba gerade auch bei der Unterstützung von ärmeren Ländern einsetzen.

Wirtschaftssanktionen beenden 

Auf der ganzen Welt müssen die Staaten sämtliche Ressourcen mobilisieren, um die Ausbreitung von Corona einzudämmen und Erkrankte zu versorgen. Einseitige Wirtschaftssanktionen verhindern nicht nur die Einfuhr von Medikamenten und medizinischem Material, sondern schädigen die betroffenen Volkswirtschaften insgesamt und damit die Möglichkeit der Menschen, die Pandemie zu bekämpfen. Das ist unverantwortlich und unmenschlich.

Die UN-Menschenrechtskommissarin, Michelle Bachelet, hat dazu aufgerufen, die einseitigen Wirtschaftssanktionen für Länder wie Kuba, Venezuela, Nordkorea, Simbabwe und Iran auszusetzen. Sie befürchtet anderenfalls den Zusammenbruch der bereits geschwächten Gesundheitssysteme mit furchtbaren Konsequenzen für die Menschen in diesen Ländern. Zugleich forderte sie die betreffenden Regierungen auf, Zugänge für humanitäre Hilfe zu schaffen.

Der Zugang der iranischen Bevölkerung zu lebenswichtigen Medikamenten und ihr Recht auf Gesundheit wird durch die US-Sanktionen massiv beeinträchtigt und ein Massensterben befördert. Im Falle Venezuelas haben alleine die von den USA und der EU einseitig verhängten Sanktionen laut der Studie des Washingtoner Center for Economic and Policy Reserach (CEPR) über 40 000 Todesopfer verursacht. Hunderttausende Menschen seien gefährdet wegen des sanktionsbedingten Mangels an Medikamenten.

Auch Syrien braucht im Kampf gegen die Pandemie dringend internationale Unterstützung. Die einseitigen EU- und US-Sanktionen sind weitreichend und haben laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die medizinische Versorgung im Land zerstört. Die amerikanischen und europäischen Sanktionen sind laut UN-Mitarbeitern der hauptsächliche Grund für den Niedergang des syrischen Gesundheitssystems.

Die Linksfraktion fordert internationale Kooperation im globalen Kampf gegen Pandemie statt Blockaden und Kollektivstrafen für die Bevölkerungen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf internationaler Ebene und in der EU für die sofortige Beendigung der einseitigen Wirtschaftssanktionen, die die jeweilige Bevölkerung treffen, einzusetzen und so den betroffenen Staaten einen effektiven Kampf gegen die Corona-Pandemie zu ermöglichen.

Gesundheit ist keine Ware

Der neoliberale Umbau der Gesundheits- und anderer Versorgungssysteme in vielen Ländern der Welt behindert heute die effektive Pandemiebekämpfung. Das globale Gesundheitswesen zählt zur öffentlichen Daseinsvorsorge und darf nicht durch Privatisierungen zur Ware degradiert werden, die der Profitlogik von großen Marktunternehmen unterworfen ist. Die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten muss reduziert werden.

Diese Privatisierungspolitik von Weltbank und G20 muss gestoppt werden. Vielmehr brauchen wir einen Globalen Fonds zur Finanzierung des Aufbaus einer öffentlichen Basisgesundheitsversorgung weltweit, der neben der Ausstattung auch den notwendigen Wissenstransfer sicherstellt. Die Welthandelsorganisation (WTO) muss ihre Politik ändern, Dienstleistungen im Gesundheitswesen zu liberalisieren. Entsprechende Klauseln in EU-Handelsverträgen müssen aufgehoben werden.

Internationale Finanzorganisationen wie der IWF müssen ihre Kreditpolitik darauf ausrichten, besonders betroffene Länder zu unterstützen. Kredite dürfen nicht länger an die Umsetzung neoliberaler Reformen (z.B. Privatisierung im Gesundheitswesen, Abbau von staatlichen Leistungen) gebunden werden. Die Auflagen erweisen sich gerade jetzt als tödlich, weil Patienten wegen abgebauter staatlicher Infrastruktur nicht versorgt werden können und Ärzte wegen fehlender Schutzkleidung an Corona sterben (z.B. Philippinen). Die Bundesregierung muss sich außerdem für einen großzügigen Schuldenerlass für hochverschuldete Länder einsetzen, damit diese mit den Folgen der Corona-Pandemie fertig werden können.

Die Praxis der politisch motivierten Kreditverweigerung (z.B. gegenüber Venezuela) darf nicht weiter fortgesetzt werden.

Solidarität in dieser medizinischen Krisenzeit muss sich auch darin ausdrücken, dass die Bundesregierung ihre Bemühungen zur Abwerbung medizinischen Fachpersonals aus denjenigen Ländern, in denen selbst ein Mangel besteht, einstellt und stattdessen Ausbildungs-, Wissenschafts- und Austauschprogramme fördert, die das medizinische Wissen und die öffentliche Gesundheitsversorgung weltweit vernetzen und verbessern helfen.

Gemeinsam handeln, Weltgesundheitsorganisation stärken und demokratisieren

Die Bekämpfung der globalen Corona-Pandemie erfordert globales solidarisches Handeln der internationalen Staatengemeinschaft. Die Unterstützung der Länder des Südens beim Auf- und Ausbau von leistungsfähigen staatlichen Gesundheitssystemen muss weiterhin wichtiger Teil der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bleiben. Sie sollte mit der großzügigeren Gewährung von sektoralen Budgethilfen für den Gesundheitsbereich noch deutlich verstärkt werden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) müsste gerade bei weltweiten Gesundheitsbedrohungen eine viel stärkere koordinierende Rolle spielen. Leider fristet sie eher ein Schattendasein und kann die meisten Programme und Projekte nicht aus eigener Kraft finanzieren. Die WHO ist in ihrer Finanzierung weitgehend abhängig von privaten Spendern. Wir setzen uns daher dafür ein, dass die Beiträge aller Industrienationen für die WHO erhöht werden, so dass sie unabhängiger von eventuellen Geldgebern, Sponsoren, Unternehmen und Stiftungen handeln kann. Gleichzeitig wollen wir die Anforderungen an die Integrität und Unbestechlichkeit des WHO-Personals erhöhen, damit eine stärkere WHO nicht zum Einfallstor für Konzerninteressen werden kann.

Vernachlässigte Krankheiten bekämpfen

Was wir hier erst durch die Corona-Krise wahrnehmen, ist für viele Menschen auf der Welt bitterer Alltag: Infektionskrankheiten, gegen die es keinen wirksamen Schutz und kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt. Auch die Anstrengungen zur Bekämpfung von Covid-19 dürfen nicht dazu führen, dass armutsassoziierte und vernachlässigte Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose, West-Nil-Fieber, Ebola, Marburg-Virus u.a. aus dem Blick der Forschungsförderung geraten. Die Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln darf nicht nur auf den Bedarf der Industrienationen schauen, sondern muss sich auch den Krankheiten widmen, die nur in auf der Südhalbkugel verbreitet sind. Auch dafür wollen wir einen erheblichen Teil der durch Abrüstung freiwerdenden Mittel einsetzen.

Chance für neue internationale Beziehungen? 

Die internationale Solidarität im Kampf gegen Corona muss auch als Chance für  neue friedliche internationale Beziehungen  genutzt werden: Die Bundesregierung sollte den  Aufruf des UN-Generalsekretärs António Guterres zu einer weltweiten Waffenruhe, zu Deeskalation und für Verhandlungen  in allen bewaffneten Konflikten aktiv unterstützen. Das gilt am drängendsten für die Region Idlib in Syrien. Dazu gehört auch ein sofortiger Stopp von Rüstungsexporten. Die Austrocknung von bewaffneten Konflikten wäre ein zentraler Beitrag zur Pandemiebekämpfung.

Positionspapier: In Zeiten der Krise und danach: Solidarität über Grenzen hinweg