Rede Sevim Dagdelen bei Jahreshauptversammlung der Bochumer Linken

Sozialstaat statt Aufrüstung

Auch Sevim Dagdelen war natürlich bei unserer Jahreshauptversammlung dabei. Sie hat in ihrer Rede klar gemacht, dass jeder Euro, der fürs Militär verpulvert wird, beim Sozialstaat eingepart wird. Wir sagen Klar: #SozialstaatstattAufrüstung

Hier auch Ihre vollständige Rede:

Es macht mich fassungslos, wenn ich von den Verhandlungsführern der Länder höre, die Forderungen seien „überzogen“ und „nicht bezahlbar“. Solch eine Empörung wünschte ich mir, wenn Merkel und Nahles immer mehr Milliarden in Militär und Rüstung verpulvern! Wir brauchen eine Umkehr bei den Löhnen. Die Menschen müssen von ihrer Arbeit sich und ihre Familie ernähren können. Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die unsere Kinder erziehen, die in der Pflege oder im Krankenhaus arbeiten, die bei der Polizei und Feuerwehr arbeiten, die also allesamt wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllen, dass diejenigen in unseren Innenstädten nicht mehr leben können, weil die Löhne zu niedrig sind und die Mieten durch die Decke gehen.
In unseren Großstädten fehlen inzwischen fast 2 Millionen bezahlbare Wohnungen. Wenn schon Normalverdiener sich kaum noch die Miete in der Innenstadt leisten können, will ich von Rentnern, Studierenden oder Geringverdienern erst gar nicht reden. Die Wuchermieten verschlingen immer höhere Teile des Einkommens, das Geld fehlt dann an anderer Stelle, z.B. für die immer höheren Energiekosten.
2017 wurde fast 344.000 Haushalten in Deutschland der Strom zumindest zeitweise gesperrt. Und im selben Jahr gab es sogar über 53.600 Zwangsräumungen bundesweit.

„Donnerstag beginnt in Potsdam die dritte Verhandlungsrunde der Tarifparteien im öffentlichen Dienst. Die Beschäftigten haben in den vergangenen Tagen und Wochen mächtig Druck gemacht für ihre Forderungen nach 6 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro mehr pro Monat. An Unikliniken und Universitäten, an Schulen, in Kitas und Behörden legten sie die Arbeit nieder. Zehntausende Krankenschwestern und Pfleger, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Verwaltungsangestellte, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Hort-Betreuer haben sich gestern und heute bundesweit an Warnstreiks beteiligt.
Ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen sind berechtigt. DIE LINKE ist solidarisch mit dem Arbeitskampf der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Die Gehälter und die Arbeitsbedingungen gerade von Erzieherinnen und Lehrern müssen dringend verbessert werden

Mit diesen Ungerechtigkeiten dürfen wir als LINKE niemals abfinden. Ich begrüße es ausdrücklich, dass es in Berlin jetzt mit „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ eine Kampagne gibt, die den Immobilienkonzernen, die nach der Finanzkrise den Wohnungsmarkt als sichere und sprudelnde Profitquelle entdeckt haben, den Kampf an sagt. Und ich bin froh, dass DIE LINKE in Berlin auf ihrem letzten Landesparteitag beschlossen hat, diese Kampagne zu unterstützen. Jetzt heißt es, auch Nägel mit Köpfen zu machen. Der Verkauf von zehntausenden kommunalen Wohnungen in Berlin durch den SPD-Linke-Senat vor 15 Jahren war ein riesengroßer Fehler und hat die Mietpreisspirale erst richtig ins Rotieren gebracht. Hier haben wir als LINKE richtig viel Glaubwürdigkeit und Kredit bei den Menschen verspielt, die wir nun mühsam wiedergewinnen müssen.

Wir sollten uns gemeinsam überlegen, wie wir die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ aus Bochum und NRW unterstützen und wie wir sie auf unser Land und in unsere Städte übertragen können.
Die Angst davor, morgen die Miete nicht mehr bezahlen zu können, oder eine Kündigung zu bekommen, weil die Wohnung Spekulationsobjekt großer Immobilienhaie geworden ist, die Angst davor hat sich längst in die Mitte der Gesellschaft gefressen.

Um das ganze Ausmaß zu erfassen, will ich auf nur eine Zahl verweisen: Mittlerweile hat jedes zweite Kind in Deutschland Angst vor Armut. Mehr als die Hälfte der 8 bis 14-Jährigen macht sich laut einer gerade veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung „gelegentlich, häufig oder immer“ Sorgen über die finanzielle Situation der Familie. Ja, wen wundert das auch, wenn zuhause die Eltern steigende Mieten, prekäre Jobs und niedrige drücken.

Liebe Genossinnen und Genossen,
der Sozialstaat gibt keine Sicherheit mehr. Jeder kämpft für sich allein. 41 Prozent aller Neueinstellungen sind heute befristet. Wie soll man da mit Zuversicht in eine planbare sichere Zukunft blicken? Wer seine Arbeit verliert oder länger krank wird, landet ganz schnell ganz unten. Während die Reichen immer reicher werden, haben die unteren 40 Prozent heute weniger Kaufkraft als Ende der 90er Jahre.

Gleichzeitig wächst die Zahl der Reichen und Superreichen. Mehr als eine Million Menschen in Deutschland haben eine Million Euro und mehr zur Verfügung. Mittlerweile gibt es 180 Milliardäre. Den Geschwistern Stefan Quandt und Susanne Klatten gehört fast die Hälfte aller BWM-Aktien. Im Frühjahr 2018 haben sie eine Rekord-Dividende in Höhe von 1,126 Milliarden Euro erhalten. Und die nächste Ausschüttung steht demnächst wieder an.

Oder nehmen wir den Daimler-Chef Dieter Zetsche. Der bekommt nach seinem Abschied im Mai jährlich mindestens 1,05 Millionen Euro Ruhegehalt, plus einer Zusatzrente von 500.000. Das muss man sich einmal vorstellen, das sind dann 4.247 Euro Rente pro Tag.

Ich finde, hier ist ein politischer Kurswechsel überfällig. Der Reichtum muss gerecht verteilt werden. Ich will, dass alle Kinder bei uns sorgenfrei groß werden können. Ich will eine gute Rente für alle, nicht abgehobene Abgaben an Autobosse und anderen Manager. In Österreich zahlen alle in die Kasse ein und der Durchschnittrentner hat dort 800 Euro mehr im Monat.
Gestern war ich bei n-tv in der Sendung „So! Muncu!“ zu Gast. Wir haben über die Frage diskutiert „Wie gerecht ist Deutschland?“ und auch darüber, ob die Reichen stärker besteuert werden müssen. Mit in der Runde war die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann. Sie ist Mitglied der FDP und führt in Hamm ein Familienunternehmen mit mehr als 180 Beschäftigten, das Krankenhäuser und Altenheime mit Lebensmitteln beliefert. Das Vermögen stecke in der Firma, Gewinne würden investiert. Mit zehn Euro Stundenlohn liege sie deutlich über dem Mindestlohn. Immer wieder erlebe sie, dass Leute nach kurzer Zeit wieder kündigen, weil sie ja auch von Hartz IV ganz gut leben können. Nicht mehr verkaufbare Lebensmittel spende sie an die örtliche Tafel.

Eine Vermögenssteuer lehnte Frau Ostermann von der FDP ab, da der Staat ja ohnehin schon genug Geld habe und dies nur anders verteilen müsse. Und so weiter, und so fort. Das ganze neoliberale Mantra rauf und runter. Ihr kennt es ja.

Zu praktisch jedem ihrer Sätze musste ich Widerspruch anmelden. Wenn Frau Ostermann Gewinne in ihr eigenes Unternehmen steckt, dann gehört sie zu einer kleinen, löblichen Minderheit in Deutschland. Denn die Re-Investitionsquote deutscher Unternehmen im Inland liegt bei nur sage und schreibe 5 Prozent, 95 Produzent werden an die Eigentümer ausgeschüttet oder im Ausland investiert.
Der Mindestlohn von aktuell 9,19 Euro ist viel zu niedrig. Laut Berechnung der Bundesregierung müsste er auf über 12, 63 Euro steigen. Jeder Cent weniger programmiert Armut im Alter – auch bei den Beschäftigen von Frau Ostermann.

Und zu den Tafeln nur ein Satz: 1993 wurde die erste Tafel in Deutschland gegründet, heute, gut 25 Jahre später, sind es 934 Tafeln. Das ist aber wahrlich kein Grund zum Feiern, sondern ein beschämendes Zeichen dafür, dass sich Armut in Deutschland ausbreitet und dass hier seit Jahren eine falsche Politik gemacht wird. Die Tafeln können helfen, die Armut zu lindern, sie mindern sie nicht.

Und natürlich ist es richtig, Vermögen zu besteuern. Wenn wir fordern, dass Vermögen ab einer Million Euro mit fünf Prozent besteuert werden, die erste Million davon freigestellt ist und betriebsnotwendiges Vermögen bis fünf Millionen freigestellt werden, dann wird davon doch keiner arm. Aber allein eine solche Vermögenssteuer würde 80 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Jahr bringen!

In einem Punkt habe ich Frau Ostermann von der FDP ausdrücklich Recht gegeben. Der Staat muss die durch Steuern erhobenen Gelder anders verteilen. Ich will einen starken Sozialstaat und keinen hochgerüsteten Militärapparat.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Bundeskanzlerin Merkel noch einmal ausdrücklich ihr gigantisches Aufrüstungsprogramm für Deutschland bekräftigt. Die Ausgaben sollen auf 1,5 Prozent des BIP steigen, später sogar auf 2 Prozent. Das heißt in Euro: Merkel, von der Leyen und Maas wollen den Militäretat in den nächsten fünf Jahren von derzeit 43,2 Milliarden Euro über 60 Milliarden Euro steigern, danach auf 85 Milliarden Euro, wie der regierungsnahe Think Tank Stiftung Wissenschaft und Politik ausgerechnet hat.

Deutschland wäre dann die stärkste Militärmacht in Europa – noch vor Russland gelegen. Zur Erinnerung: Die gesamten Militärausgaben aller 29 NATO-Mitglieder beliefen sich laut SIPRI 2017 auf 900 Milliarden US-Dollar, was 52 Prozent der weltweiten Ausgaben ausmacht. Russland hat seinen Militärhaushalt um 20 Prozent auf 63,1 Milliarden Dollar gekürzt. Diese Zahlen zeigen, dass jede Rede von einer russischen Bedrohung sich an der Realität blamiert. Selbst wenn man das Argument gelten lässt, dass Russland mehr aus seinem Militärhaushalt herausbekommt, ist die NATO bei konventionellen Waffen, um das zwei- bis Dreifache überlegen.
Und doch wird mit einer regelrechten Angstkampagne vor Russland die deutsche Aufrüstung begründet, die nach der Wiederbewaffnung 1956 ohne Beispiel ist. Hier sagen wir laut NEIN! Wir brauchen eine andere Politik. In der Bevölkerung gibt es unbestreitbar Mehrheiten für eine andere Politik: für höhere Löhne, für armutsfeste Renten, für bezahlbare Mieten, für gerechtere Steuern und auch für Abrüstung.
Sozialstaat statt Aufrüstung lautet das Gebot der Stunde“